Was heißt Gestaltung? Design, Technik und Gebrauchswerte.
Vortrag: Vortrag auf Einladung des Instituts für Wirtschaftsgestaltung.
15.11.2006 im Wirtschaftsphilosophischen Club, München
Thema: Was heißt Gestaltung? Design, Technik und Gebrauchswerte.


Was heißt Gestaltung? - Design, Technik und Gebrauchswerte

Ich werde bei dieser Gelegenheit einige Überlegungen zur Eigentümlichkeit von Gestaltung bzw. Design anstellen sowie einen kurzen Klärungsversuch zur grundlegenden Zweideutigkeit des Begriffs `Funktion´ vorausschicken.
Bereits Ende des 19 Jhdts. nennt Gottfried Semper in seinem großartigen zweibändigen Werk „Der Stil in den tektonischen Künsten“, Zweckhaftes ebenso wie Struktives einer Sache, seine `Funktionen´. Zum einen bezeichnet Funktion also die Art und Weise, in der eine Sache funktioniert - ihr technisches Prinzip oder das Struktive wie Semper es nennt.Zum anderen aber bedeutet Funktion so viel wie Zweck oder besser Zwecke eines Gegenstandes, d.h. diejenigen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, die diese zu Zielen ihres Handelns erhoben haben und deren Erfüllung sie nun vom Gebrauch des entsprechenden Gegenstandes erwarten. Sempers `Zweckhaftes´ bringt also den Menschen ins Spiel.
Beides ist - wie schon Semper sehr scharfsinnig anmerkt - gut auseinander zu halten denn es kann sehr wohl technisch funktionierende, aber durchaus unnütze Dinge geben. Eine Gestaltung also, die sich an der ersten, der struktiven Bedeutung von Funktion orientiert, läuft darauf hinaus, dass Technik sich bewusst als solche ausstellt und sich in seiner ästhetischen Wirkung feiert.Eine innere Notwendigkeit, ein logisch organisierendes Prinzip, soll eine bestimmte äußere Gestalt erzwingen.

„form follows funktion“, das kennen Sie sicher alle.

So lautet die Kernthese dieses Funktionalismus sinngemäß dann auch: Schönheit stellt sich dort von selbst ein wo technische Zweckmäßigkeit erreicht ist. In Wahrheit stellt sich aber nichts von selbst ein, denn auch dem Funktionalismus liegen, als Ergebnis von Gestaltung, immer bewusste, ästhetische Entscheidungen zugrunde, die - nicht wie der Funktionalismus vorzugeben sucht - durch Sachgesetzlichkeiten determiniert sind sondern von ästhetisch-moralischen Wertvorstellungen abhängen. Ungleich wichtiger erscheint mir, eine von der zweiten Bedeutung der Funktion - dem Zweckhaften der Dinge - geleitete Gestaltung. Sie läuft darauf hinaus, dass die Form sich an menschliche Bedürfnisse adressiert; dass das Produkt primär die Gebräuchlichkeit im Sinn hat und sich im tätigen Gebrauch dann auch selbst erklärt, denn: „Weniger ihre Betrachtung erschließt die nützlichen Dinge als ihr Gebrauch.“

Das folgende Bildpaar soll als anschauliches Beispiel für die Herleitung und Idee der Erweiterung von Gebräuchlichkeit dienen.

Links, ein einfacher aber intelligent modifizierter Alltagsgegenstand. Dieser Türkeil für den Fahrradkeller verfügt über eine extra angebrachte Öse die mittels einer Kette vor Verlust oder Diebstahl des Türkeils schützt.

Rechts, ein Türkeil den wir für die Side by Side Kollektion der Caritas Werkstätten für behinderte Menschen entwickelt haben. Eine lange Griffstange schont den Rücken. Eine angemessen große Edelstahlspange erlaubt es, den Türkeil entweder direkt über eine Türklinke zu hängen oder aber ein Seil, eine Kette o.ä. daran zu befestigen.



Daß nicht die Betrachtung sondern der Gebrauch die Dinge erst vollwertig erschließt ist ein alter Gedanke der für uns eine ganz neue Bedeutung erlangt - in einer Zeit in der Designer bevorzugt das `Aufregende´ zu gestalten suchen und Lifestyle-Magazine Hochglanz-Bilder von Design zeigen. Design als nurmehr etwas für ganz besondere Anlässe - eine Kunstform fern jeglicher gewöhnlicher Alltagstauglichkeit. Die Gestaltung von Gebräuchlichkeit für den Alltag jedoch sehe ich gerade als eine dem Design ganz und gar eigentümliche Sache und bedeutendes Unterscheidungskriterium - beispielsweise - zur Kunst oder Wissenschaft. Weder kann im Design wissenschaftliche Effizienz das erschöpfende Kriterium sein - ich verweise auf das obige Phänomen der Umnutzung von Gegenständen - noch lässt sich die ästhetische Dimension ganz von der Gebräuchlichkeit trennen. Beide scheinen sich zu bedingen. Ist es nicht sogar so, dass sich im unmittelbaren Gebrauch der Dinge deren ästhetische Dimension erst vollständig realisiert.

Ebenso wie im Gegenzug diese ästhetische Dimension uns zur Tätigkeit auffordert und sich damit unser Verhältnis zur konkreten, sinnlichen Welt erst ausprägt? Müsste so also Design im Kern beschaffen sein, wenn es zur Klärung derjenigen Frage etwas taugen soll die Hanno Rauterberg in seinem Kommentar zur Design-Ausstellung ENTRY 2006 in Essen (Die Zeit vom 31.08.2006) aufwirft:

„Nicht um Produkte geht es hier, sondern um etwas unausgeformtes: um die Frage nach dem Menschen und seinem Verhältnis zu den Dingen.“

Klaus Hackl 11/2006